Wiederaufbau der Ukraine nach historischem Muster: „Der Marshallplan ist keine Blaupause – eher eine Metapher“
Osteuropaexperte Heiko Pleines über die Erfolgschancen eines „Marshallplans für die Ukraine“ – 75 Jahre nach dem Start des Wiederaufbauplans für Westeuropa.
VDI nachrichten: Herr Pleines, der Marshallplan, der nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Amerikaner 1948 in die Tat umgesetzt wurde, um Europa nach den Kriegswirren vor der Verelendung zu bewahren, ist nun wieder mit Blick auf die im Krieg befindliche Ukraine im Gespräch. Wie weit kann der Marshallplan heute noch als Blaupause dienen?
Pleines: Also eine Blaupause ist der Marshallplan nicht – eher eine Metapher. Es geht darum, Unterstützung zu signalisieren, die langfristig ist und nicht nur im Krieg, sondern auch beim Wiederaufbau hilft.
Von den Amerikanern als wertvolle Hilfe für Europa gefeiert, war der Marshallplan nicht unumstritten. So meinte der damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard mit Blick auf Westdeutschland, nicht die Hilfe aus den USA, sondern die Währungsreform habe das deutsche Wirtschaftswunder beflügelt. Hatte er recht?
So komplexe Geschichten wie das Wirtschaftswunder lassen sich natürlich nicht mit einem Faktor erklären. Im Hinblick auf die Ukraine sind drei Punkte besonders relevant: Erstens war das Finanzvolumen des Marshallplans vergleichsweise klein. Umgerechnet in heutige Preise ging es um knapp 150 Mrd. $ – für mehrere Länder. Wichtiger als die konkrete Summe dürfte die Signalwirkung gewesen sein. Denn zweitens zeigt ein solcher Plan ausländischen Investoren, dass sie mit stabilen Rahmenbedingungen rechnen können. Erleichterungen beim Außenhandel, Angleichung an internationale Standards und Unterstützung für den Rechtsstaat und eine effiziente Staatsverwaltung waren damals für das Wirtschaftswunder wichtig und sind es auch jetzt für die Ukraine. Drittens wird mit einem Marshallplan damals wie heute auch die wirtschaftliche und politische Integration gefördert.
„Der Marshallplan wurde von den USA allein organisiert – im Falle der Ukraine gibt es viele Unterstützerländer“
Die ersten Hilfen aus dem Marshallplan flossen 1948, also drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Das wurde als sehr spät kritisiert. Aber kann man, wie heute oft gefordert, schon jetzt mit dem Wiederaufbau der Ukraine beginnen, obwohl der Krieg noch tobt und ein Ende nicht absehbar ist?
Hier ist eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen von Wiederaufbau wichtig. Im wörtlichen Sinne meint Wiederaufbau ja, dass durch russische Raketen zerstörte Infrastruktur, vor allem für die Versorgung mit Strom, Wärme und Wasser, aber auch Straßen und Eisenbahnschienen, Krankenhäuser und Schulen wiederaufgebaut werden. Das kann sicher nicht warten, bis der Krieg vorbei ist. Das Räumen von Minen ist dabei auch eine wichtige Aufgabe. Der Wiederaufbau im Sinne eines Marshallplans meint aber eher einen Neubau der Wirtschaft. Viel diskutiert wird z. B. der Bereich der Energieversorgung. Kurzfristig werden alte Kraftwerke notdürftig in Stand gesetzt, langfristig – also mit Marshallplan – könnte die Ukraine verstärkt auf erneuerbare Energien, eine dezentrale Energieversorgung und vielleicht auch Exporte von grünem Wasserstoff in die EU setzen. Das setzt voraus, dass entsprechende Pläne bereits ausgearbeitet wurden, bevor diese Phase des Wiederaufbaus beginnt.
Ein Jahr Krieg: Republik im Notfallmodus
Gibt es bereits Ansprechpartner und Institutionen, die die Hilfs- und Aufbauarbeiten koordinieren, wie dies bei der Umsetzung des Marshallplans der Fall war?
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