BAG: Arbeitszeit muss erfasst werden
Betriebsräte dürfen die Einführung eines elektronischen Systems zur Erfassung der Arbeitszeit nicht verlangen. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Arbeitgeber sind laut BAG aber verpflichtet, die Arbeitszeiten der Beschäftigten systematisch zu erfassen.
Betriebsräte sollen laut Betriebsverfassungsgesetz aufpassen, dass moderne Stechuhren nicht zur Überwachung missbraucht werden. Einen ganz anders gearteten Fall verhandelte das Bundesarbeitsgericht: Hier verlangte ein Betriebsrat aus Nordrhein-Westfalen die Einführung eines elektronischen Systems zur Erfassung der Arbeitszeit. Nur so könnten Beschäftigte ihre Arbeitszeit nachweisen und Überstunden belegen. In dem heute vor dem BAG in Erfurt verhandelten Fall ging es um das sogenannte Initiativrecht der Arbeitnehmervertreter, das in vielen Fragen besteht, nicht aber bei technischen Einrichtungen, die auch zur Überwachung von Arbeitnehmenden genutzt werden könnten. Hier haben sie nach dem Betriebsverfassungsgesetz ein Mitbestimmungs-, quasi ein Abwehrrecht im Interesse ihrer Kolleginnen und Kollegen. In der Regel ergreifen Arbeitgeber die Initiative, um elektronische Zeiterfassungssysteme in Unternehmen, Büros oder Verwaltungen zu etablieren. Das BAG hat nun entschieden, dass der BR kein Initiativrecht hat, stellte aber klar, dass die Arbeitszeiterfassung verpflichtend ist.
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Ist das Ende der Vertrauensarbeitszeit eingeläutet?
Fachleute rechnen damit, dass das BAG-Grundsatzurteil (1 ABR 22/21) weitreichende Auswirkungen auf die bisher in Wirtschaft und Verwaltung tausendfach praktizierten Vertrauensarbeitszeitmodelle bis hin zu mobiler Arbeit und Homeoffice haben kann, weil damit mehr Kontrolle nötig ist. Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz müssen bisher nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit. Das Thema Arbeitszeiterfassung hat zurzeit in den Unternehmen eine besondere Brisanz. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) am 14. Mai 2019 (C-55/18) müssen Arbeitgeber die Dokumentation von Arbeitszeiten ermöglichen – wie, darüber gibt es verschiedene Rechtsauffassungen. Manche Experten sehen nun die Vertrauensarbeitszeitmodelle in Gefahr. Die Ampelkoalition prüft eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es: „Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“
Die EU-Mitgliedstaaten müssen nach dem Urteil alle erforderlichen Maßnahmen treffen, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der Arbeitszeitrichtlinie tatsächlich zugutekommen. Nur so könne der durch die EU-Grundrechtecharta und die Arbeitszeitrichtlinie bezweckte Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden tatsächlich einer Kontrolle durch Behörden und Gerichte zugeführt werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die gesamte Arbeitszeit vollständig zu dokumentieren. Bereits bestehende Zeiterfassungssysteme müssen gegebenenfalls geändert werden. Sofern eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit vorliegt, könnte Anpassungsbedarf bestehen.