Die fragwürdigen Methoden der Profi-Kündiger
Politiker loben die Mitbestimmung, die Bürger wollen mehr davon, doch in vielen Unternehmen wird die Beteiligung der Beschäftigten vom Management verhindert. Anwälte haben sich darauf spezialisiert, unliebsame Betriebsräte loszuwerden.
Die Deutschen wünschen sich mehr Mitbestimmung in den Unternehmen. Das zeigt eine aktuelle repräsentative Befragung der TU München. Danach wollen 62 % der 18- bis 65-Jährigen, dass Unternehmen demokratischer geführt werden.
Während in Westdeutschland 43 % der Beschäftigten von Betriebsräten vertreten werden, sind es in Ostdeutschland nur 35 %.
Am stärksten verbreitet sind Betriebsräte in der Abfallwirtschaft, in der Wasserversorgung, in der Energiewirtschaft und im Bergbau. Hier gibt es im Westen für 83 % und im Osten für 66 % der Beschäftigten eine Interessenvertretung.
Auch bei Finanz- und Versicherungsdienstleistungen sowie im Verarbeitenden Gewerbe werden mehr als die Hälfte der Beschäftigten von Betriebsräten vertreten.
Im Bau- und Gastgewerbe jedoch gibt es für weniger als ein Fünftel der Beschäftigten einen Betriebsrat.
Nicht nur, dass die Bundesbürger mehr Beteiligung verlangen, auch von Politikern aller Couleur wird die Mitbestimmung gelobt. So sei die Finanzkrise 2008/2009 in Deutschland deswegen so glimpflich verlaufen, weil Betriebsräte in vielen Unternehmen das Krisenmanagement unterstützt und bei der Sicherung von Arbeitsplätzen geholfen hätten.
Die Erwartungen der Bürger und das Lob der Politik stehen indessen in einem Gegensatz zu dem, was in etlichen Unternehmen geschieht. Denn in vielen Betrieben versuchen Arbeitgeber, die Bildung einer Arbeitnehmervertretung zu verhindern oder gegen bestehende Betriebsratsgremien vorzugehen.
Gesicherte Zahlen darüber gibt es nicht. „Wir sehen die Spitze eines Eisbergs“, sagen Martin Behrens und Heiner Dribbusch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Wie groß allerdings die Masse unter der Wasseroberfläche ist, können die beiden gewerkschaftsnahen Ökonomen nicht sagen.
Über Versuche, die Wahl von Betriebsräten zu verhindern oder bereits gewählten Arbeitnehmervertretern das Leben schwer zu machen, werden keine Statistiken geführt. Bei den Arbeitsgerichten werden solche Prozesse nur zusammen mit denen zur Betriebsverfassung und zur Personalvertretung erfasst.
Eine Umfrage, die Behrens und Dribbusch in den vier Gewerkschaften IG Metall, IG BCE, Nahrung, Genuss, Gaststätten und Verdi durchgeführt haben, kommt zu dem Ergebnis, dass in 241 Betrieben Arbeitgeber versucht haben, die Wahl eines Betriebsrates zu verhindern. Das bedeutet aber nicht, dass diese Fälle alle Vorstöße von Arbeitgebern abdecken, die Wahl eines Betriebsrates zu unterbinden. In vielen Unternehmen, vor allem im Handel und bei Dienstleistern, sind Gewerkschaften nicht vertreten, oft ist auch das Betriebsklima mitbestimmungsfeindlich. Seltener sind nach dieser Umfrage Versuche, bereits gewählte Betriebsräte loszuwerden. Die Umfrage stammt aus dem Jahr 2012, neuere Zahlen liegen nicht vor.
„Aktiver Arbeitgeberwiderstand“ gegen die Gründung von Betriebsräten ist, so Behrens und Dribbusch, „bisher kein stilbildendes Merkmal der deutschen Arbeitsbeziehungen“. Allerdings handele es sich dabei „um mehr als eine vernachlässigbare Randerscheinung der deutschen Mitbestimmung“.
Die Maßnahmen, mit denen gegen die Wahl eines Betriebsrates vorgegangen wird, reichen von der Einschüchterung und Kündigung möglicher Kandidaten über das Verhindern der Bestellung eines Wahlvorstandes bis zur Aufspaltung oder zur Verlagerung eines Betriebes.
Für die Otto-Brenner-Stiftung haben die Journalisten Elmar Wigand und Werner Rügemer die Methoden der sogenannten Union Buster unter die Lupe genommen. Mit „Union Busting“ wird die professionelle Bekämpfung von Gewerkschaften und Betriebsräten bezeichnet – eine Branche, in der vor allem Anwaltskanzleien aktiv sind und die in den USA schon lange floriert.
In Deutschland ist die Entwicklung noch nicht so weit. Ein Markt für „Betriebsratsvermeidung“ entsteht hier gerade erst, stellen Behrens und Dribbusch fest. Bislang gebe es nur wenige Kanzleien, die sich auf solche Fälle spezialisiert hätten. Meist ließen sich Unternehmen von ihren Hausanwälten beraten.
Nach § 119 des Betriebsverfassungsgesetzes kann die Behinderung von Betriebsratswahlen sowie von Betriebsratsarbeit mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe geahndet werden. Aber: Gegen Verstöße dieser Art verhandeln deutsche Arbeitsgerichte selten. Wie Wigand und Rügemer erläutern, halten sich einige der Akteure gerne im Hintergrund.
Die in Deutschland am häufigsten angewandte Methode, um am Stuhl engagierter Betriebsratsmitglieder zu sägen, sei die Welle unsubstantiierter Abmahnungen, sagt Wigand: „Man füllt die Personalakte quasi präventiv mit Vergehen, die meistens fingiert sind.“ Das „Risiko“, Mitarbeiter jahrelang abmahnungsfrei zu belassen, sei vielen Unternehmen einfach zu groß, da sich der Kündigungsschutz so nur weiter festige.
Ein weiteres beliebtes Mittel sei die Druckkündigung. Dafür muss eine größere Anzahl von Mitarbeitern unterschreiben, dass sie „außerstande seien, mit dem betreffenden Kollegen weiter zusammenzuarbeiten; deshalb würden sie sich gezwungen sehen, selbst zu kündigen, falls die betreffende Person nicht entfernt würde“.
Auch wenn diese Kündigungsvariante vor dem Arbeitsgericht oft keinen Bestand habe, entfalte sie dennoch eine gewisse Wirkung. „Diese Form der erzwungenen Entsolidarisierung ist für den Betroffenen natürlich extremes Psycho-Mobbing“, sagt Wigand.
Hat die Betriebsratswahl dann doch stattgefunden, raten manche Anwälte offenbar gerne zu gesteuerten Belegschaftsinitiativen. Das Ziel: Stimmung machen gegen gewerkschaftlich orientierte Betriebsratsmitglieder. „Mitunter erhalten die beteiligten Angestellten finanzielle Zuwendungen oder es werden ihnen Privilegien gewährt“, erläutern Rügemer und Wigand.
Um Gründe für Abmahnungen zu beschaffen, zeigen sich einige Unternehmen recht kreativ. „Das Übergreifen der betrieblichen Konflikte in die Privatsphäre der Betroffenen gehört zu den verheerendsten Effekten des Union Busting“, schreiben Rügemer und Wigand.
Ein brisanter Fall hat sich bei einer Großbäckerei zugetragen. Nach den Recherchen der beiden Journalisten ließ das Unternehmen auf dem Computer des Betriebsratsvorsitzenden das Überwachungsprogramm Autohotkey mithilfe eines externen Dienstleisters installieren – einer Detektei. Den Ausgang des Falls schildern die Autoren so: „Der Ausgespähte wurde entlassen, die Geschäftsleitung begründete das mit privaten E-Mails, die erfasst worden waren.“
Zu den von den Autoren kritisierten Anwälten gehört die Kanzlei Schreiner und Partner aus Attendorn. In ihrem Angebot finden sich Seminare wie „Die Kündigung störender Arbeitnehmer“ oder „In Zukunft ohne Betriebsrat – Wege zur Vermeidung, Auflösung und Neuwahl des Betriebsrats“. Wigand sieht darin eine „Anleitung oder auch Anstiftung zum Rechtsbruch“.
Dirk Schreiner, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Inhaber der Kanzlei, ist anderer Meinung. Was das Arbeitsrecht angehe, hätten Führungskräfte oftmals ein deutlich geringeres Wissen als Betriebsratsmitglieder – zumal letztere Anspruch auf mehrwöchige Schulungen haben. „Um diesem Ungleichgewicht an Kenntnissen ein bisschen entgegenzuwirken, gibt es unser Seminarangebot.“
Er wirft Rügemer und Wigand vor, es nicht besser zu wissen oder bewusst die Unwahrheit zu sagen. Schreiner: „Wenn Mitarbeiter tatsächlich einen Betriebsrat gründen wollen, gibt es eine Duldungspflicht für den Arbeitgeber.“ Unternehmen dürften das nicht behindern.
Die These, dass Firmen immer häufiger flächendeckend Abmahnungen streuten, hält Schreiner für aus der Luft gegriffen. „Dass ein Arbeitgeber aber irgendwann einmal auf Fehlverhalten reagieren muss – daran kann ich nichts Verwerfliches feststellen. Und fingierte Abmahnungen kenne ich persönlich überhaupt nicht.“ Eine ungerechtfertigte Abmahnung könne schließlich jeder Arbeitnehmer vom Arbeitsgericht aus der Personalakte entfernen lassen. Schreiner: „Wir schieben niemandem irgendeinen Kündigungsgrund unter.“
Warum versuchen Manager, die Gründung von Betriebsräten zu unterbinden? Dafür gibt es nach Ansicht der WSI-Ökonomen Behrens und Dribbusch drei Gründe: Sie halten einen Betriebsrat für überflüssig, weil sie glauben, Probleme besser lösen zu können. Zudem werde eine Arbeitnehmervertretung als Gefahr für den Betriebsfrieden angesehen. Drittens schließlich verursache ein Betriebsrat aus Sicht der Manager zu hohe Kosten.