Vermeintliche Patentverletzer müssen eher mit einstweiliger Verfügung rechnen
Bei einstweiligen Verfügungen wegen einer (vermeintlichen) Patentverletzung steht das Risiko im Raum, dass kurzfristig das eigene Produkt vom Markt genommen werden muss. Oder eben die Chance, einen Konkurrenten zu stoppen, der das eigene Patent verletzt. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) führt dazu, dass nun viel mehr Patente als Basis für eine einstweilige Verfügung in Frage kommen – zumindest theoretisch.
Damit der Inhaber eines Patents eine einstweilige Verfügung gegen einen (vermeintlichen) Patentverletzer erreichen kann, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens muss der Patentinhaber dem Gericht die Patentverletzung glaubhaft machen, zweitens, dass die Sache eilbedürftig ist und drittens, dass der Rechtsbestand des Patents hinreichend gesichert ist. Der dritte Punkt ist aufgrund des „Trennungsprinzips“ besonders schwierig: Patente können in ihrem Rechtsbestand (erstinstanzlich) nur vor den Patentämtern und dem Bundespatentgericht angegriffen werden. Für Fragen der Patentverletzung sind jedoch in erster Instanz allein die Landgerichte zuständig. Das Bundespatentgericht ist mit Ingenieuren und Naturwissenschaftlern besetzt, die Verletzungsgerichte aber nicht.
Der Patentinhaber muss das Gericht von der Rechtsbeständigkeit des Patents überzeugen
Nichtsdestotrotz muss der Patentinhaber im einstweiligen Verfügungsverfahren das Verletzungsgericht von der Rechtsbeständigkeit seines Patents überzeugen. Gelingt ihm dies nicht, wird sein Antrag zurückgewiesen. Nur: Wie kann das Verletzungsgericht überhaupt die Validität eines Patents bewerten, wo es genau dafür doch in der Hauptsache gar nicht zuständig ist und auch nicht über Ingenieure verfügt? Auf den ersten Blick spricht auch die Statistik gegen den Patentinhaber. Nur bei ca. einem Drittel aller Einsprüche und Patentnichtigkeitsklagen bleibt das Patent vollständig aufrechterhalten.
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Die Verletzungsgerichte in Düsseldorf, Mannheim/Karlsruhe und München haben den Spieß umgedreht. Sie gingen von einer hinreichend gesicherten Rechtbeständigkeit grundsätzlich nur dann aus, wenn das Patent bereits ein Rechtsbestandsverfahren in erster Instanz überstanden hatte. Andernfalls gewährten sie nur in Ausnahmefällen eine einstweilige Verfügung.
Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren dauern bei Patentstreitigkeiten oft Jahre
Dies birgt jedoch zwei Probleme: Einerseits wird ein Patent nie für eine einstweilige Verfügung tauglich, wenn niemand es angreift. Und andererseits dauern Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren nicht selten Jahre. In dieser Zeit hat der Patentinhaber kaum Aussicht auf schnellen Rechtsschutz gegen Patentverletzer.
Das Landgericht München I war in einem Fall von der Rechtsbeständigkeit eines erst kürzlich erteilten Patents und seiner Verletzung überzeugt. Es sah sich nur durch die – in diesem Stadium unerfüllbare – Forderung nach einem bereits durchlaufenen Rechtsbestandsverfahren daran gehindert, eine einstweilige Verfügung zu gewähren. Die entsprechende Rechtsprechung des OLG München hielt es für europarechtswidrig und legte sie dem EuGH vor.
EuGH: Rechtsprechung verstößt gegen EU-Richtlinie
Der EuGH (C-44/21) hat sich nun auf die Seite des LG München I gestellt und entschieden, dass eine Rechtsprechung, wonach der Erlass einer einstweiligen Verfügung grundsätzlich verweigert wird, wenn das in Rede stehende Patent noch kein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat, gegen die „Enforcement“-Richtlinie 2004/48/EG verstößt.
Erleichtert das EuGH-Urteil nun die schnelle Patentdurchsetzung in der Praxis? Eine Folge des Urteils ist, dass nun theoretisch viel mehr Patente für eine einstweilige Verfügung in Frage kommen als zuvor. Ob dies auch tatsächlich zu mehr einstweiligen Verfügungen führen wird, muss die Zukunft zeigen. Jedenfalls werden sich die Verletzungsgerichte wohl verstärkt mit inhaltlichen Argumenten für und gegen die Rechtsbeständigkeit des einzelnen Patents auseinandersetzen müssen, obwohl sie weder mit Ingenieuren besetzt noch für Rechtsbestandsverfahren zuständig sind.
Deutschland ist Europameister beim Patentanmelden
In jedem Fall ist es für einen angeblichen Patentverletzer wichtiger geworden denn je, im Ernstfall schnell Argumente gegen die Rechtsbeständigkeit des Patents zu finden. Dies kann angesichts der hohen Schlagzahl im Verfügungsverfahren eine echte Herausforderung sein. Der knappe Hinweis, dass das Patent noch kein Rechtsbestandsverfahren durchlaufen hat, reicht nicht mehr aus.