Sicherheit von Spielzeug 05. Mrz 2024 Von Martin Ciupek Lesezeit: ca. 4 Minuten

Malamud-Fall: EU-Normen müssen für Bürger der EU zugänglich sein

Bisher wird Normung durch den Verkauf der Dokumente refinanziert. Ein aktuelles Gerichtsurteil des EuGH könnte das nun infrage stellen. Was bedeutet das für die Industrie?

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EU-Recht: Der Europäische Gerichtshof stellt in seinem Urteil vom 5. März 2024 das öffentliche Interesse an vier sicherheitsrelevanten harmonisierten Normen vor die Urheberrechte.
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Rechtssache C-588/21 P heißt es im Kalender des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) am Dienstag, den 5. März 2024, kurz. Für 9:30 Uhr ist darin das Urteil in dem Prozess angesetzt, der weitreichende Konsequenzen für die Normung in Europa haben kann. Bekannt ist der Prozess auch als Malamud-Fall. Denn der Internetaktivist Carl Malamud hatte über seine Organisation Public.Resource.Org, Inc. mehrere internationale Normen ins Internet gestellt und wurde dafür mehrfach wegen Urheberschutzverletzung angeklagt und verurteilt. In der aktuellen Rechtssache klagte Public.Resource.Org gegen die Europäische Kommission.

Grundlage dafür ist ein anderer Fall. In dem Urteil zu „James Elliott“ (Rechtssache C-613/14) hatte das EuGH beiläufig erwähnt, dass harmonisierte Europäische Normen „Teil des Unionsrechts“ seien. Wenn harmonisierte technische Normen (HTN) also Teil des Rechtssystems seien, müsse es auch einen freien Zugang zu diesen Normen geben, so ein Hauptaspekt der Klage. Die Kommission lehnte 2018 dagegen den Antrag im Malamud-Fall auf der Grundlage von Artikel 4 Absatz 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 (3) ab, wonach „der Zugang zu einem Dokument zu verweigern ist, wenn seine Verbreitung den Schutz der geschäftlichen Interessen einer bestimmten natürlichen oder juristischen Person einschließlich des geistigen Eigentums beeinträchtigen würde, es sei denn, ein überwiegendes öffentliches Interesse rechtfertigt die Verbreitung des betreffenden Dokuments“.

Erstmals musste sich der Gerichtshof in seiner Großen Kammer daher mit der Frage beschäftigen, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung harmonisierter Normen besteht, die vom Europäischen Komitee für Normung (CEN) angenommen wurden. Bereits am 22. Juni 2023 hatte die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof, Frau Laila Medina, ihre Schlussanträge dazu veröffentlicht und damit zunächst bei den Normungsorganisationen in Europa für Aufregung gesorgt.

EuGH-Urteil: Harmonisierte Normen sind Teil des Unionsrechts

In dem Urteil kommt der EuGH nun zu dem Ergebnis, dass die beantragten harmonisierten Normen Teil des Unionsrechts sind. Darüber hinaus betont der Gerichtshof, dass „die Union nach Art. 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) auf dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit beruht, der einen freien Zugang zum Unionsrecht für alle natürlichen und juristischen Personen in der Union sowie die Möglichkeit für die Einzelnen verlangt, ihre Rechte und Pflichten unzweideutig zu erkennen“.

Somit könne „eine harmonisierte Norm aufgrund der Wirkungen, die ihr ein Unionsrecht verleiht, die Rechte und Pflichten von Einzelpersonen spezifizieren, und diese Spezifikationen können für sie notwendig sein, um zu prüfen, ob ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung tatsächlich den Anforderungen eines solchen Rechts entspricht“. Unter diesen Umständen gibt der Gerichtshof den Klägern recht, „dass ein überwiegendes öffentliches Interesse die Verbreitung der beantragten harmonisierten Normen rechtfertigt“.

Zwar ging es in dem Prozess „nur“ um vier Normen. Wie beim Urteil zum Fall James Elliott dürfte das nun aber Auswirkungen auf viele künftige Gerichtsentscheidungen in ähnlichem Kontext haben.

Urheberrechte an Normen: Mehr als 100 € kostet der Teil eines EU-Standards

Verhandelt wurden im aktuellen Prozess vier Normen, an deren Entwicklung auch das Deutsche Institut für Normung (DIN) beteiligt ist. Das sind konkret drei Teile der Norm „Zur Sicherheit von Spielzeug“ DIN EN 71-4, DIN EN 71-5, DIN EN 71-12 und die Europäische Norm EN 12472 mit dem Titel „Methode zur Simulation von Verschleiß und Korrosion zum Nachweis von aus beschichteten Gegenständen freigesetztem Nickel“.

Aktuell kostet beispielsweise die Norm DIN EN 71-5 , die in Deutschland über den Beuth Verlag vertrieben wird, als PDF-Download in deutscher Sprache 181,10 €. Wird eine englische Übersetzung per Postversand angefordert, sind es sogar 273,60 €. Für Unternehmen, die sich an diese Normen halten müssen, sind das zunächst Kosten. Allerdings: Gleichzeitig wird über diese Urheberrechte auch ein Teil des Normungssystems refinanziert. Genau das ist für die Industrie nun der Knackpunkt.

Hier erfahren Sie, wie Normungsorganisationen in Europa arbeiten

Mögliche Folgen des Malamud-Falls für Europas Industrie

Bereits im Vorfeld der Urteilsverkündung hatte beispielsweise Rechtsanwalt Thomas Klindt, Partner der Kanzlei Noerr mit Hauptsitz in München, auf die Folgen hingewiesen. Er schrieb zum Schlussantrag der Generalanwältin: „Würde der EuGH dieser Auffassung folgen, wäre das bisherige Normungssystem aber nicht mehr finanzierbar.“ Europa drohe damit ein Rückfall in die Kleinstaaterei.

Klindt erinnert daran, dass sich das arbeitsteilige System der Normung in Europa als äußerst effizient erwiesen habe. Vor dem „New Approach“ im Jahr 1985 hätten Unternehmen bei der Produktentwicklung die technischen Vorschriften sämtlicher europäischer Staaten kennen und einhalten müssen. Gerade für mittelständische Unternehmen war der Vertrieb außerhalb des Heimatmarkts damit fast unmöglich. Dadurch hatte der New Approach wesentlichen Einfluss auf den Erfolg des europäischen Binnenmarkts für Produkte. „In europäischen Richtlinien und Verordnungen wie der Maschinenverordnung steht deshalb im Prinzip nur noch drin: Wenn die durch die Verbände gesetzten Normen eingehalten werden, wird vermutet, dass das jeweilige Produkt der Verordnung entspricht“, fasst der Industrieanwalt den komplexen juristischen Sachverhalt zusammen.

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Zu den Kosten für den Erwerb von Normen sagt Klindt: „Die Entwicklung technischer Normen ist langwierig und teuer. Denn es sollen ja keine kleinteiligen Vorgaben gemacht, sondern offene Standards gesetzt werden, die zukünftige Entwicklungen antizipieren.“ Deshalb seien Organisationen wie das DIN auf eine langfristig gesicherte Finanzierung ihrer Arbeit angewiesen. Ohne diese Finanzierungsmöglichkeit würde die Normungsarbeit stillstehen und damit auch das gesamte System der europäischen Normsetzung, gibt Klindt zu bedenken. Er befürchtet nun: „Technische Normen werden nicht mehr weiterentwickelt und damit droht eine Situation wie vor 1985 mit kleinteiliger Regulierung auf Staatenebene.“

Statements zum Urteil von Malamuds Organisation, Normungsorganisationen und anderen liegen der Redaktion momentan noch nicht vor. Wir werden sie aber einordnen, sobald sie vorliegen.

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