Karriere 24. Apr 2024 Von Barbara Willms Lesezeit: ca. 4 Minuten

Nach Kununu-Urteil: „Klarnamen müssen herausgegeben werden“

Anwalt Jan Meyer hat für Unternehmen das Recht erstritten, Arbeitgeberbewertungen auf Portalen wie Kununu oder Glassdoor überprüfen zu können. Im Interview erläutert er die Konsequenzen.

Rechtsanwalt Jan Meyer betreibt in Düsseldorf die Kanzlei Sterne-Advo. Sie ist spezialisiert auf das Vorgehen gegen negative Online-Bewertungen.
Foto: sterne-advo Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Arbeitgeber-Bewertungsportale wie Kununu, Glassdoor oder Indeed konnten jahrelang anonyme Bewertungen von Beschäftigten veröffentlichen, ohne dass dies in der Regel rechtliche Konsequenzen gehabt hätte. Damit ist vorerst Schluss: In einem Eilverfahren entschied das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg Anfang Februar, dass Klarnamen herausgegeben werden müssen, wenn die Echtheit einer Bewertung angezweifelt wird.

Die Details lesen Sie hier nach: Kununu-Urteil: Jobbewertungsportal nicht mehr anonym?

Geklagt hatte Rechtsanwalt Jan Meyer, Gründer und Geschäftsführer der Sterne-Advo Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, gegen das Portal Kununu, das zur New Work SE mit Sitz in Hamburg gehört. Im Interview mit VDI nachrichten erläutert Meyer, wie die juristische Auseinandersetzung weitergeht, welche Folgen der Beschluss schon jetzt in der Praxis hat – und warum einige Portale seiner Meinung nach von negativen Unternehmensbewertungen profitieren.

VDI nachrichten: Herr Meyer, wann ist ein endgültiger Beschluss im Streit um die anonymen Bewertungen auf dem Portal Kununu zu erwarten?

Meyer: Endgültig und für die Parteien rechtsverbindlich ist der OLG-Beschluss des Eilverfahrens schon jetzt, denn es gibt hier keine weitere Instanz. Kununu hat zwar gegen die einstweilige Verfügung des OLG Hamburg vom 8. 2. Widerspruch erhoben. Dazu wird es am 26. 4. eine mündliche Anhörung beim Landgericht Hamburg (LG) geben. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird das LG die einstweilige Verfügung des OLG nicht aufheben. Mit einer schriftlichen Entscheidung über die mündliche Verhandlung im Widerspruchsverfahren ist im Mai 2024 zu rechnen. Der „Klarnamen-Krimi“ geht also noch ein paar Tage weiter, aber der Ausgang ist zeitlich und inhaltlich für mich absehbar.

Nämlich?

Um eine einstweilige Verfügung aufrechtzuerhalten, muss flankierend ein Hauptsacheverfahren mit Klage, Berufung und Revision durchgeführt werden. Letztendlich erwarte ich, dass der Bundesgerichtshof als oberste Instanz den OLG-Beschluss vom 8. 2. in drei bis vier Jahren bestätigt. Das heißt, auch künftig wird das gelten, was bereits aus der einstweiligen Verfügung hervorgeht.

Sind anonyme Arbeitgeber-Bewertungen auf Jobportalen jetzt generell unzulässig?

Nein, nicht generell. Anonyme Bewertungen dürfen weiterhin veröffentlicht werden. Neu ist: Ross und Reiter müssen aber genannt werden, wenn das bewertete Unternehmen Zweifel an der Echtheit einer Bewertung äußert. Das ist typischerweise der Fall, wenn von Beschäftigten negative Aussagen getroffen werden, die von Arbeitgeberseite nicht nachvollzogen werden können oder zum Beispiel auch, wenn Mehrfachbewertungen vermutet werden. In solchen Fällen vertreten wir Unternehmen gegenüber Jobportalen. Es gibt dann seit Februar zwei Möglichkeiten: Entweder wird die Identität der oder des vermeintlichen Beschäftigten offengelegt, oder die Bewertung muss gelöscht werden. Bisher haben sich die Portale meines Wissens dafür entschieden, die Einträge zu löschen. Klarnamen wurden noch nicht genannt.

Jeden Eintrag auf Echtheit zu überprüfen kaum möglich

Was droht Portalen, die dem Beschluss nicht nachkommen?

Die Prozesse, die wir dazu seit dem vergangenen Herbst führen, haben pro Bewertung einen Streitwert von 10 000 €. Je nachdem, um wie viele Bewertungen es geht, kommen da schnell einige Hunderttausend Euro an Prozesskosten zusammen.

Wie genau prüfen Portale Ihrer Erfahrung nach anonyme Einträge? Bei Kununu zum Beispiel finden sich klare Vorgaben, wie eine faire Bewertung aussehen soll.

Dass Arbeitgeber-Bewertungsportale jeden Eintrag vorab so weit wie möglich auf Echtheit prüfen, ist kaum zu realisieren, denn es brächte einen extrem hohen Arbeitsaufwand mit sich und es ginge möglicherweise auch ein bisschen Richtung Zensur. Was sie tun, ist: Algorithmen einsetzen, die Einträge mit bestimmten Schlagwörtern, zum Beispiel Diskriminierungen, erst einmal herausnehmen. Meiner Meinung nach haben einige Portale aber gar kein Interesse daran, unzutreffende Negativbewertungen zu verhindern, denn, auch wenn das überraschend klingt: Indirekt verdienen sie Geld damit.

Unternehmen können gegen Gebühr negative Bewertungen verstecken

Wie meinen Sie das – Portale verdienen Geld mit negativen Arbeitgeber-Bewertungen?

Salopp formuliert, läuft das Spiel so: Ein Portal lässt kostenlose negative anonyme Bewertungen zu. Gleichzeitig bietet es den Unternehmen an, sich durch kostenpflichtigen Input positiv zu präsentieren. Ich habe Mandanten, die regelrechten Hass auf ein Portal entwickelt haben, weil dort anonym und ungeniert Negatives über sie veröffentlicht wird – und dann können sie ein Abo für 500 €, 1000 € oder 2000 € im Monat abschließen, damit sie nicht so schlimm dastehen. Wir haben schon von sechsstelligen Jahresbeiträgen gehört. Das hat schon ein Geschmäckle. Generell geht es bei Plattformen im Bereich Human Resources um viel Geld. Die New Work SE, die die Karriereplattform Xing und auch Kununu betreibt, hatte laut Statistischem Bundesamt im Geschäftsjahr 2023 einen globalen Umsatz von rund 305,6 Mio. €.

Apropos international … wirkt sich der Beschluss des OLG Hamburg auf die europäische Rechtsprechung aus?

Vielleicht gibt es irgendwann eine Richtlinie, momentan nicht. Die EU-Staaten haben unterschiedliche Regelungen, und es wird, vereinfacht ausgedrückt, nach der Rechtslage des Landes entschieden, in dem ein Portal aktiv ist und in dem ein Streitfall auftritt.

Auch ältere Bewertungen müssen offengelegt werden

Seit dem Beschluss des OLG Hamburg wissen Portale, worauf sie sich mit anonymen Bewertungen einlassen. Was gilt für ältere Einträge?

Eine sehr interessante Frage. Die neue Rechtslage muss auch der Verfasser einer alten Bewertung gegen sich gelten lassen, wenn er heute Klarnachweise ans Portal schickt, um seine verleumdende alte Bewertung aufrechtzuerhalten. Da verjährt für die Arbeitgeber erst mal nichts. Meint zum Beispiel ein Arbeitgeber im April 2024, eine noch online befindliche Bewertung aus 2020 sei unzutreffend, muss das Portal die Identität des Bewertenden auch hier offenlegen oder löschen.

Ein Ausblick: Hat die Online-Bewertung von Arbeitgebern mit der neuen Rechtslage noch eine Zukunft?

Ja, absolut. Denn ehrliche, nachvollziehbare Bewertungen sind eine wertvolle Information für potenzielle Bewerberinnen und Bewerber und auch für die Arbeitgeber. Die Zahl nicht nachvollziehbarer und beanstandeter Bewertungen, das sind bisher über 20 %, wird abnehmen. Sicher werden sich einige Beschäftigte, die Negatives erlebt haben, aus Sorge um ihre berufliche Position namentlich nicht äußern wollen. Dennoch denke ich, die neue Rechtslage, die wir erstritten haben, bringt einen großen Vorteil: mehr Transparenz für alle Beteiligten.

Beschäftige haben Loyalitätspflichten gegenüber ihrem Arbeitgeber

Ein Tipp zum Schluss: Wie sollten sich Beschäftigte auf Bewertungsportalen äußern – was geht, was geht gar nicht?

Beschäftigte haben Ihrem Arbeitgeber gegenüber eine Loyalitätspflicht. Das bedeutet, sie dürfen sich nicht so offen negativ über ihn äußern wie über Dritte. Geht es um grundlegende Unstimmigkeiten mit dem Unternehmen, sollten eher die klassischen internen Wege beschritten werden. Beleidigungen, Verleumdungen und haltlose Unterstellungen sind absolut tabu. Das Recht auf freie Meinungsäußerung lässt aber vieles zu, zum Beispiel eine Beschreibung des subjektiven Erlebens der Arbeitsatmosphäre. Innerhalb dieses Rahmens rate ich ganz einfach, bei einer anonymen Bewertung nichts anderes wiederzugeben als bei einer, die mit vollem Namen veröffentlicht wird.

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