Die Formel 1 als Blaupause für den Maschinenbau
Mit weitsichtigen Investitionen retten Maschinenbauer ihre Zukunft. Doch vielen fehlt der Mut dazu.
In diesem Herbst habe ich einige wichtige Messen besucht und konnte mit zahlreichen Geschäftsführern, Vorständen und Inhabern aufschlussreiche Gespräche führen. Darüber hinaus kamen unterschiedlichste Unternehmen mit Auftragsanfragen auf mich zu. Eine davon – sie hat mich auf der AMB (Internationale Ausstellung für Metallbearbeitung in Stuttgart) erreicht – überraschte mich besonders. Und sie machte mir klar, dass es für Deutschlands Maschinenbauer lohnenswert ist, sich die Entwicklung des „Pit-Stop-Managements“ in der Formel 1 genauer anzusehen.
In der Krise die Designanstrengungen verdoppeln
Die überraschende Anfrage kam von einem führenden japanischen Maschinenbauunternehmen. Das allein war schon ungewöhnlich, denn in letzter Zeit kommen die meisten unserer Anfragen aus den USA und China. Noch überraschender war für mich die Begründung, warum die Japaner ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt auf uns zukommen: Auch in Japan kämpft der einst starke Maschinenbausektor mit der Krise. Das betreffende Unternehmen stellt dabei keine Ausnahme dar. Dessen Vertreter sagten mir, dass sie aktuell Leute entlassen und sich längerfristig auf ein niedrigeres Auftragsvolumen einstellen. Gerade deshalb aber hätten sie sich entschlossen, ihre Designaktivitäten zu verdoppeln: „Wir wollen nicht nur bei ein paar Maschinen das strategische Design in die Entwicklung einbinden, sondern bei allen.“ Und ich dachte nur: „Die sind richtig clever.“
Jürgen Schmid
- ist Inhaber von Jürgen Schmid Maschinendesign im schwäbischen Ammerbuch. Die Kunden seines Unternehmens kommen aus der ganzen Welt.
- Jürgen Schmid Maschinendesign ist mit 200 internationalen Awards ausgezeichnet worden.
- Zu Schmids Innovationen gehören die Erfindung des Mini-Akkuschraubers und das Design der Spritzgießmaschine von Arburg, des Liebherr-Autokrans und der Autowaschanlagen von Washtec.
- erläutert regelmäßig Themen der Unternehmensführung in VDI nachrichten.
Am Boxenstopp sparen, verhindert Erfolge
Schauen Sie sich um in der Branche: In sehr vielen deutschen Maschinenbauunternehmen werden derzeit die Kosten und Investitionen flächendeckend heruntergefahren, Mitarbeiter werden entlassen. Mein Eindruck ist, dass die Manager diese Maßnahmen aus einem Reflex heraus ergreifen. Das ist auch verständlich: Das Management steht unter hohem Druck, kurzfristig Resultate zu liefern. Gleichzeitig rechnen die meisten Entscheider nicht mit einer baldigen Erholung. Doch wer jetzt seinen Designinnovationsprojekten den Hahn zudreht, dem wird es so gehen wie vielen Formel-1-Teams in der Zeit, als Boxenstopps in den Mittelpunkt des Interesses rückten.
Wer im Boxenstopp nicht absolut top ist, muss nicht mehr antreten
Im heutigen Formel-1-Betrieb spielt die Dauer des Boxenstopps eine zentrale Rolle. Das war nicht immer so. Viele Sekunden vergingen, bevor die alten Reifen ab-, die neuen Reifen aufgezogen waren und der Fahrer das Zeichen zum Weiterfahren bekam. Dann erkannte eines der Teams das Potenzial, das in diesen Sekunden für den Rennverlauf schlummerte. Es begann, den Prozess zu verbessern und die Boxencrew maximal zu schulen. Das brachte dem Team für etliche Rennen einen klaren Vorteil gegenüber den Konkurrenten. Heute dauert ein solcher Halt teils weniger als zwei Sekunden. Und ein Team, das nicht absolut top im Boxenstopp ist, braucht in der Formel 1 gar nicht mehr antreten – es hätte keine Chance.
Viele Maschinenbauer erkennen das Potenzial nicht
Im Maschinenbau hat das besondere Design heute das Potenzial, das damals der Boxenstopp in der Formel 1 hatte. Noch immer gleichen die Hallen der Maschinenbaumessen Designwüsten. Das eröffnet all jenen Firmen, die in wertschöpfendes Design investieren, die Gelegenheit, sich überlegen kundenfokussiert von den Wettbewerbern abzuheben. Sie sichern sich auf diese Weise einen massiven Vorsprung – für den Moment und für die Zukunft.
Ich mache mir aktuell ernsthaft Gedanken, dass die Maschinenbauer hierzulande den Anschluss an den globalen Markt verlieren. Sie erkennen das exzellente Potenzial nicht. Stattdessen zögern sie ihren Einstieg in Design- und Innovationsprojekte hinaus oder legen ihn ganz auf Eis. Doch je länger Unternehmen damit warten, Erfahrung mit der strategischen Planung und Durchführung von Designprojekten zu sammeln, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Zug für sie abgefahren sein wird. Wie ein Formel-1-Team ohne Boxenstopp-Expertise brauchen diese Firmen dann gar nicht mehr zu Rennen um die Kunden anzutreten.
Mut zu Innovation und Investitionen zahlt sich aus
Bleibt nur noch eine Frage: Wie vermitteln Sie Ihre Investition in Design der verbleibenden Belegschaft, wenn Sie parallel deren Kollegen entlassen? Die Frage ist berechtigt: Denn kommt in so einer Situation zum Beispiel der Chef mit einem nagelneuen Luxus-SUV auf den Hof gefahren, entsteht leicht der Eindruck, dass die Prioritäten falsch gesetzt werden. Das erzeugt Unmut. Doch heute in Design zu investieren, ist eine Sache der Weichenstellung für zukünftiges Wachstum.
Internationale Vorbilder wie dieses japanische Unternehmen zeigen, dass Maschineninnovation und -design strategische Hebel für langfristigen Erfolg sind – auch und gerade in Zeiten unsicherer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Der Mut zur Innovation zahlt sich aus – für das Unternehmen und für die Mitarbeiter!