„Made in GDR“ – vom Sandmann bis zur Militärrakete
Das Spielzeugmuseum Nürnberg gibt mit der Sonderausstellung „Made in GDR – DDR-Spielzeug für die Welt“ Einblicke in die besondere wirtschaftliche Bedeutung der Spielzeugproduktion in der DDR und ermöglicht so manchem Erwachsenen aus Ost oder West ein Wiedersehen mit Freunden aus Kindertagen.
„Sandmann, lieber Sandmann“: Jeden Abend hören und sehen viele Kinder immer noch gerne den „Abendgruß“ auf Kika, MDR oder Rbb. Und sie reiben sich nach dem „weil jedes Kind ins Bettchen muss“ noch einmal verstohlen den im Fernseher verstreuten Sand aus den Augenwinkeln.
Made in GDR – DDR-Spielzeug für die Welt. Bis 12. 4. 15, Spielzeugmuseum (Museum Lydia Bayer), Karlstraße 13 – 15. Mo – Fr 10 Uhr bis 17 Uhr, Sa/So 10 Uhr bis 18 Uhr.
Doch ob Sandmännchen – mit typischem Walter-Ulbricht-Bart –, Ente Schnatterinchen oder Klabauter Pittiplatsch: 25 Jahre nach dem Mauerfall stellen oft Plüschspielzeugfirmen im Westen die „Protagonisten“ der Erfolgsserie her. Denn nach der Wiedervereinigung ging es der Spielzeugindustrie der DDR wie vielen anderen Wirtschaftszweigen: Nur ein paar Firmen konnten überleben, vieles wurde von der Treuhand „abgewickelt“. Es wurden Lizenzen vergeben, zahlreiche Arbeitsplätze verschwanden aus dem Osten Deutschlands.
Dabei war Kinderspielzeug bis 1990 ein wichtiger Teil der Planwirtschaft des „realen Sozialismus“ der DDR, produziert vor allem in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg. Allein das „VEB Kombinat Spielwaren Sonneberg“ im Thüringer Wald hatte etwa 27 000 Beschäftigte.
Doch was dort und woanders mit dem Stempel „Made in GDR“ (German Democratic Republic) produziert wurde, war nicht nur für Kinder der DDR bestimmt: Viele Spielwaren fanden den Weg in den Westen, devisenbringend gegen D-Mark oder US-Dollar eingetauscht. Weshalb eben nicht nur Kosmonauten oder Sandmännchen, sondern auch Metallbaukästen, Dampfmaschinen oder Oldtimerautos hergestellt wurden, am Geschmack der Kinder ausgerichtet.
Urs Latus vom Spielzeugmuseum Nürnberg räumt ein, dass die eigenen Bestände der städtischen Einrichtung für die Ausstellung nicht ausreichten. Neben Leihgaben aus öffentlichen und privaten Sammlungen stammen die gezeigten Stücke überwiegend aus der umfangreichen sächsischen Privatsammlung. Das Museumsteam hat sie geordnet: systematisch, nach Themen und Zeiträumen.
Was dort zu sehen ist, zeigt: DDR-Spielzeug war oft sehr hochwertig. Das mag auch am Ausbildungsstandard des Personals gelegen haben: Facharbeiter und Meister wurden in speziellen Lehrbetrieben für Spielzeugentwicklung ausgebildet bis hin zu „Diplomformgestaltern“.
Herausragend waren die Fachschule für angewandte Kunst Sonneberg, das Institut für Spielzeug und die Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle „Burg Giebichenstein“. „Lehrkräfte und Absolventen dieser Einrichtungen lieferten Entwürfe für die Produktion und standen nicht selten im internationalen Austausch“, erklärt Urs Latus.
Das Motto der DDR-Spielzeuglandschaft: „Gutes Spielzeug braucht das Kind.“ Designauszeichnungen oder Gütesiegel bewiesen die Qualität. Und nicht nur Massenproduktionen fanden den Weg in die Spielzeuggeschäfte des Westens, oft über die Leipziger Messen: „Kunsthandwerkliche Werkstätten oder freie Formgestalter fertigten hochwertige Kleinserien an, vorrangig als lukrative Exportware für das Ausland bestimmt“, ergänzt Latus. Das Fürther Versandhaus Quelle beispielsweise importierte und verkaufte sie mit guten Gewinnmargen in der gesamten Bundesrepublik.
Dabei hatte die DDR-Spielzeugindustrie zu Beginn Probleme: Zwischen 1945 und 1949 gab es eine Enteignungswelle durch die sowjetische Militäradministration, dazu kam erheblicher Materialmangel.
Doch dank des Nebeneinanders von privaten, genossenschaftlichen und volkseigenen Betrieben kam es laut Latus zu einer erstaunlichen Produktvielfalt, „die die 50er- und 60er-Jahre kennzeichnet“. Aufgrund fehlender Investitionen produzierte die Spielwarenindustrie in der DDR viel länger als in Westdeutschland mit traditionellen Herstellungsmethoden. Hand- und Heimarbeit behielten einen höheren Stellenwert. Allerdings wanderten bis zum Mauerbau 1961 zahlreiche Unternehmen in die Bundesrepublik ab. „Unter der Oberfläche mancher DDR-Spielwaren verbergen sich Geschichten, die von klugem Erfindungsgeist, vielfältigen Formen von Eigeninitiative, cleverem Improvisationsvermögen und solider fachlicher Ausbildung erzählen“, betont Latus.
Doch gerade die hochwertigen Produkte waren in der DDR selbst Mangelware. 1972 gab es einen maßgeblichen Einschnitt: Nahezu alle bis dahin privat oder halbstaatlich geführten Spielzeugbetriebe wurden verstaatlicht. „Alles folgte einem großen Plan“, so Latus: „Politisch erwünscht, konzentrierte man Anfang der 1980er-Jahre die Verwaltungsstruktur der Spielwarenindustrie aufs Neue.“ Allein im Sonneberger Spielwaren-Kombinat waren 31 Betriebe mit 900 Betriebsteilen zusammengefasst, wie der Ausstellungsteil „Geschichte aus dem Spielzeugland“ zeigt. Ein einziger Außenhandelsbetrieb lenkte am Ende von Berlin aus zentral den Vertrieb der unzähligen Produkte: Puppen, Plüschtiere, Holz- oder Konstruktionsspielzeug, Elektromechanisches.
Die Ausstellung im Spielzeugmuseum Nürnberg ist aus vielen Gründen ein Besuch wert. Einer davon ist: Hier können in Westdeutschland Aufgewachsene beispielsweise sehen, was in westlichen Kinderzimmern landete, ohne dass man den ursprünglichen Herkunftsort ausmachen konnte. Und Ex-DDR-ler erfahren, was der Staat ihnen als Spielzeug verwehrte und stattdessen ins offiziell „feindliche Ausland“ verkaufte – und was nicht.