Vom Versuchswesen zu eigenen technischen Innovationen
Als Institution des Bundes lag die Kernkompetenz der IABG bei technischen Dienstleistungen. Nach der Privatisierung prüft die Firma weiterhin Baugruppen und Werkstoffe für die Luft- und Raumfahrt-, Verteidigungs- und Verkehrsindustrie. Aber ihr Arbeitsschwerpunkt verschiebt sich: vom Versuchswesen hin zu eigenen Innovationen in Bereichen wie Kommunikationstechnologie oder Elektromobilität.
Linker Hand, in etwa 3 m Höhe, ragt eine Tragfläche heraus, ihr Pendant auf der anderen Seite ist von einem Gerüst umgeben. Es stehen Ermüdungstests an den Flügeln des Business-Jets eines Schweizer Herstellers an. Die sechssitzige Maschine hat eine Spannweite von 17 m und passt locker in eine Ecke der 15 m hohen Testhalle am Hauptsitz der IABG (Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft) in Ottobrunn nahe München.
- wurde 1949 in Kirchheim (im schwäbischen Landkreis Unterallgäu) geboren.
- studierte Bauingenieurwesen an der TU München und promovierte 1979 zum Thema „Risikoabschätzung stochastisch belasteter Strukturen“.
- ist seit 2010 geschäftsführender Gesellschafter der Schwarz Holding GmbH.
- hat eine Leidenschaft für Motoren und sammelt Autos. In seiner Garage stehen u. a. ein Citroën DS (Bj. 1966) und ein Polo II 86c GT G40, der 1987 in limitierter Auflage auf den Markt kam.
Insgesamt 5600 m² Fläche – so viel Platz haben die Ingenieure, um beispielsweise Experimente an Flugzeugstrukturen durchzuführen. Bei den statischen Tests überprüfen sie vor dem Erstflug, ob die am Rechner entworfene Konstruktion tatsächlich „fliegen“ kann. Bei den dynamischen Tests steht im Vordergrund, wie sich das Material bei ermüdungsrelevanten Lasten verhält. Dazu gehören Fallversuche, Landeversuche, Rollversuche, Bremsversuche, Reifenberstversuche und mehr.
„Diese Experimente sind notwendig, um das Verhalten von Material und Konstruktion zu studieren und die Schadenstoleranz zu bewerten“, erklärt IABG-Chef Rudolf Schwarz. Flugzeughersteller bzw. Airlines möchten genau wissen, nach wie vielen Flugstunden und an welchen Stellen Schäden auftreten – damit sie einerseits entsprechende Wartungen veranlassen, andererseits die verbleibende Nutzungsdauer ihrer Maschinen einschätzen können.
[accordionElement titel=“Die IABG, Industrieanlagen- Betriebsgesellschaft mbH“]wurde 1961 als unabhängige Analyse- und Testeinrichtung für die Luftfahrtindustrie und das Verteidigungsministerium von der Industrieverwaltungsgesellschaft (IVG) des Bundes gegründet und 1992 privatisiert.
Gesellschafterinnen sind heute die Schwarz Holding GmbH (87,4 %) und die Mitarbeiterbeteiligungs AG (12,6 %).
beschäftigt derzeit rund 1000 Mitarbeiter an 13 Standorten in Deutschland und der EU.
deckt die Fachbereiche Maschinenbau, Materialwissenschaften, Mechatronik, Elektrotechnik, aber auch Mathematik und Psychologie ab.
machte einen Umsatz von 172,5 Mio. € (2013), investiert 2,3 % davon in Forschung und Entwicklung.
ist in fünf Geschäftsfeldern aktiv: Automotive, InfoKom, Mobilität, Energie & Umwelt, Raumfahrt, Verteidigung & Sicherheit.
analysiert, simuliert und testet; qualifiziert, zertifiziert und optimiert den Lebenszyklus von Produkten und Systemen.
[/accordionElement]Wer nach oben schaut, erkennt am Schweizer Business-Jet die roten Lastgeschirre, die die IABG-Facharbeiter über die gesamte Flügellänge in definierten Abständen angebracht haben. Für den nötigen Zug sorgen servo-hydraulische Zylinder, die wie Teleskope vom Boden ragen und die Tragflächen nach unten ziehen oder nach oben biegen. Solche Strukturversuche mussten auch der neue Airbus A350 XWB und jeder seiner Vorgänger überstehen.
Die Ingenieure gleichen die in den Testreihen gewonnenen Ergebnisse mit Simulationen und Berechnungen ab. Letztere gehören zu den Voraussetzungen, damit eine Maschine zugelassen wird. Test und Qualifizierung, also der Nachweis, dass die Berechnungen der Konstrukteure stimmen und das technische Produkt alle Anforderungen des Lastenhefts erfüllt, gehören zum traditionellen Geschäft der IABG. So ist es nicht verwunderlich, dass Rudolf Schwarz seinem Unternehmen einen „High-End-TÜV-Status“ attestiert.
Gestartet ist die IABG als Einrichtung des Bundes, die Dienstleistungen für das Verteidigungsministerium erbrachte, indem sie z. B. Operationen von Heeresverbänden simulierte und daraus den Ausrüstungsbedarf der Streitkräfte ableitete. Später gehörte der Betrieb der Magnetschwebebahn-Versuchsanlage im Emsland zu den Aufgaben der IABG. Im Laufe der Jahre kamen weitere Aktivitäten im Automobil- und Verkehrsbereich hinzu.
„Als wir 1992 privatisiert wurden, war klar, wir müssen uns dem Wettbewerb stellen und neue, zusätzliche Branchen und Märkte erschließen“, erinnert sich Schwarz, der die Entwicklung der Firma seit 35 Jahren begleitet. Eingestiegen ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter, der „das Glück hatte, von seinen Vorgesetzten gefördert zu werden“. So durchlief der promovierte Bauingenieur alle Hierarchiestufen, bis er schließlich zum Geschäftsführer ernannt wurde.
Aus dem angestellten Geschäftsführer wurde der Eigentümer, als er 2002 erst 43 % und später, im Jahr 2008, rund 87 % der Firmenanteile kaufte. Die Übernahme hat ihn nicht geschreckt: „Risiken war ich durch unseren Familienbetrieb gewohnt“, stellt Rudolf Schwarz fest.
KOGNITIVES ANTENNENSYSTEM
Seit der Privatisierung muss die IABG mit Wettbewerbern aus dem In- und Ausland konkurrieren, wenn es um öffentliche Aufträge geht. Der Arbeitsschwerpunkt von Schwarz hat sich seitdem verschoben: von der Forschung hin zum Management. Er akquiriert neue Kunden, repräsentiert die Firma gegenüber der Politik und vertritt sie in Gremien. Die Frage, die den 65-Jährigen derzeit beschäftigt, lautet: „Wie man mit technischen Dienstleistungen organisch wachsen kann, insbesondere wenn man sich dabei in zyklischen Geschäftsfeldern bewegt. Und wie man sich angesichts der Einkaufspraxis der OEMs (Erstausrüster, d. Red.) durch mehr Innovation vor dem Margenverfall schützen kann.“
Gerade im Bereich Luftfahrt gebe es kaum noch Neuentwicklungen und demzufolge keine großen Anforderungen an das Versuchs- und Prüfwesen. „Deshalb müssen wir selbst neue Lösungen entwickeln, unsere Kundenbasis erweitern und internationaler werden“, hebt der Chef hervor.
Der Gedanke ist folgender: Die Mitarbeiter verfügen über eine breite Expertise. Diese lässt sich in neue Projekte ummünzen. Es gilt deshalb, Querschnittsthemen aus den verschiedenen Geschäftsfeldern zu identifizieren und daraus innovative Produkte zu entwickeln. Das wären Themen wie Vernetzung, Sensorik, Mobilität, Digitalisierung und regenerative Energien. Im eigenen Innovationszentrum (IZ) haben die Ingenieure dann die Möglichkeit, sich zu Inventorenzellen zusammenschließen, ihre Ideen einzubringen, Geschäftspläne auszuarbeiten und Meilensteine festzulegen.
Rudolf Schwarz legt eine quadratische Platte auf den Tisch, auf deren Oberfläche kreisrunde, graue Flächen angeordnet sind. Sie gleicht einem Designuntersetzer, ist aber ein intelligentes Antennenmodul, das mehrere Funktionen in sich vereint. IABG-Entwickler Norbert Niklasch nennt es „Kognitives Antennenradiosystem“ (Karsys). Die zentrale Steuerungseinheit besteht aus einem Parallelrechnersystem, das nicht nur die ausgesendeten Signale anpasst und steuert, sondern auch für hohe Datenübertragungsraten sorgt. „In Karsys sind Radio, Funkgerät und Modem sowie die Antenne in einem einzigen System integriert“, berichtet Niklasch. Realisiert werden die Funktionen über eine von seinem Team entwickelte Software.
Die Anwendungen reichen von der Telekommunikation, etwa für Mobiltelefone und Car-to-Car-Anwendungen, über terrestrische bzw. satellitengestützte Datenkommunikation bis hin zum Einsatz als Radar. Laut Niklasch lässt sich damit auch ein drahtloses Sensornetzwerk kreieren, um den Zustand von Strom- oder Gasleitungen, Dämmen und Bauwerken wie Brücken zu überwachen.
INDUKTIVE ENERGIEÜBERTRAGUNGSSYSTEME
Ein weiteres Projekt, das vom Bundesverkehrsministerium gefördert wird, soll das Reichweitenproblem bei Elektromobilen lösen. Anstatt schwere Akkus mit sich herumzuführen und an Ladesäulen warten zu müssen, sollen sich Busse oder Pkw während des Fahrens per Induktion selbst aufladen.
Bei den erwähnten Innovationen wird deutlich, dass sich die Firma zwei Wettbewerbern stellen muss: Einmal muss sie sich mit Unternehmen aus der Privatwirtschaft messen, bei denen Effizienz und Kostensenkung im Vordergrund stehen. Das andere Mal mit Institutionen wie der Max-Planck- bzw. der Fraunhofer-Gesellschaft, die sich mit Grundlagen- bzw. anwendungsnaher Forschung beschäftigen und öffentlich gefördert werden. Deshalb will sich das Unternehmen zu einer unabhängigen Beratungsgesellschaft wandeln, die ganzheitlich, also in Systemen, denkt. Für Schwarz steht fest: „Wir müssen noch besser, noch innovativer werden.“