Wer sich vor der Digitalisierung fürchtet
Löst die Digitalisierung Ängste vor dem sozialen Abstieg aus? Das hängt davon ab, welche Erfahrungen Menschen mit neuen Technologien im Arbeitsleben bisher gemacht haben, hat eine Studie der Universität Paderborn ergeben.
Hochqualifizierte freuen sich auf spannende Aufgaben, Angelernte befürchten, durch Roboter ersetzt zu werden. So könnte man vermuten. Tatsächlich folgen die Einschätzungen und Erwartungen in Sachen Digitalisierung diesem Muster nur bedingt, wie eine Untersuchung der Soziologin Bettina Kohlrausch von der Universität Paderborn zeigt. Die Wissenschaftlerin hat eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte repräsentative Befragung der wahlberechtigten Bevölkerung in Deutschland ausgewertet.
Unter anderem haben die Interviewten eingeschätzt, welche Folgen die Digitalisierung für sie persönlich haben könnte. Dabei wird nicht nur deutlich, dass mit dem technologischen Fortschritt viele, zum Teil widersprüchliche Hoffnungen und Befürchtungen verbunden sind und die Diskrepanz zwischen bisherigen Erfahrungen mit digitaler Technik und den künftig erwarteten Auswirkungen mitunter groß ist.
Auffällig ist auch, dass die Qualifikation in diesem Zusammenhang keine besondere Rolle spielt. Akademiker erwarten zwar signifikant häufiger als andere, dass der technische Wandel ihre Arbeitsplatzsicherheit erhöht. Andererseits sind es aber gerade die Studierten, die ihre Handlungsspielräume am Arbeitsplatz infolge der Digitalisierung schrumpfen sehen. Ihnen machen Entgrenzung, zunehmende Kontrolle und Arbeitsverdichtung zu schaffen: ständige Erreichbarkeit, verschwimmende Grenzen zwischen Job und Privatleben, immer kleinteiligere Überwachung der Arbeitsschritte, mehr Arbeit in kürzerer Zeit.
Erfahrungen minimieren oder fördern soziale Ängste
Wird nicht nach der Ausbildung, sondern nach der beruflichen Position unterschieden, so zeigt sich, dass Angestellte und Selbstständige eher als Arbeiter glauben, der technische Fortschritt sichere ihren Job und erlaube ihnen größere Flexibilität. Dasselbe gilt für Männer im Vergleich zu Frauen. Ob jemand einen Migrationshintergrund hat oder in welchem Bundesland er lebt, hat laut der Untersuchung von Bettina Kohlrausch keinen messbaren Einfluss auf die Haltung zur Digitalisierung.
Ein starker statistischer Zusammenhang wird hingegen deutlich, wenn die bisherigen Erfahrungen mit der Digitalisierung zu den Ängsten vor sozialem Abstieg in Beziehung gesetzt werden. Unabhängig von Berufsposition, Einkommen, Bildungsstand, Geschlecht, Alter und ähnlichen Faktoren sind es diejenigen, die aus eigener Sicht bereits heute „immer weniger mit den technischen Entwicklungen mithalten“ können, die sagen: „Ich befürchte, meinen Lebensstandard nicht dauerhaft halten zu können.“
„Zementierung der Geschlechterungleichheit“
Es hängt also davon ab, „wie die eigene Arbeitsmarktsituation durch die Digitalisierung strukturiert ist“, meint die Soziologin Kohlrausch. „Qualifikation und Berufsposition schützen in der subjektiven Wahrnehmung vor den negativen Auswirkungen der Digitalisierung nur begrenzt.“ Menschen, die sich mit den neuen Technologien schwertun, gibt es in allen Bereichen – und fast alle Erwerbstätigen sind auf die eine oder andere Art von der Digitalisierung betroffen.
Es sind der Wissenschaftlerin zufolge „die grundsätzlichen Mechanismen sozialer Integration, die sich durch die Digitalisierung verändern könnten“. Wenn auch höhere Bildung nicht vor negativen Folgen der Digitalisierung schützt, würden damit Gewissheiten infrage gestellt, die das gesellschaftliche Gefüge heute stabilisieren. Das könnte zur Verbreitung sozialer Verunsicherung beitragen.
Zudem drohen sich andere Probleme zu verschärfen. So lasse sich infolge der Digitalisierung „eine Zementierung der Geschlechterungleichheit feststellen“. Frauen sind nach eigener Aussage häufiger von negativen Folgen der Digitalisierung betroffen und profitieren auch seltener als Männer von höherer Flexibilität, was Arbeitsort und -zeit betrifft.